Für den Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) ist das Treffen an diesem Dienstag ein Erfolg: Seit Monaten wirbt er dafür, mehr Migranten aus den Elendslagern der griechischen Inseln aufzunehmen. Gemeinsam mit anderen Städten hat er sich im Bündnis Sichere Häfen zusammengeschlossen, das für mehr Mitbestimmung der Städte bei der Aufnahme von Migranten plädiert.
Er hat Briefe an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geschrieben, Pressekonferenzen abgehalten, sich öffentlich positioniert. Bislang mit mäßiger Resonanz vonseiten der Bundesregierung. Man freue sich über das Engagement der Kommunen, teilte Seehofers Haus stets mit – allerdings ohne auf die Forderungen konkret einzugehen. Ein Treffen zwischen dem Innenminister und den betroffenen Kommunen war zwar vorgesehen, fand aber nie statt. Nun, nach Wochen und Monaten des öffentlichkeitswirksamen Werbens, nimmt sich die Kanzlerin der Sache an.
An diesem Dienstagnachmittag wird sich Angela Merkel (CDU) mit einigen der Bürgermeister und Landräte in einer Videokonferenz zusammenschalten. Die Bundeskanzlerin werde „sich mit den Teilnehmern der Videokonferenz über die Flüchtlingssituation in Griechenland sowie über die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland“ austauschen, teilte die stellvertretende Regierungssprecherin Martina Fietz am Freitag mit. Zwar sind konkrete Beschlüsse nicht zu erwarten. Die aufnahmebereiten Kommunen werten das Treffen dennoch als wichtiges Signal.
„Es ist ein längerer Wunsch der Städte, einen direkten Kontakt zur Bundesregierung zu haben“, sagt Schubert. „Insofern begrüßen wir es sehr, dass die Bundeskanzlerin zu diesem Treffen eingeladen hat und damit die Aufnahmebereitschaft der Kommunen wertschätzt.“
In den letzten Monaten hätten sich rund 200 Städte und Gemeinden in Deutschland dafür ausgesprochen, „mehr Geflüchtete aus den Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen, als es die Bundesregierung plant“. Es brauche nun „eine Diskussion zu der Frage, wie die Aufnahmebereitschaft der Kommunen in den Programmen des Bundes stärker berücksichtigt werden kann“.
Auch der Präsident des Deutschen Städtetages, der ebenfalls an dem virtuellen Treffen teilnimmt, stellt die Erwartungen im Vorfeld klar. Es sei ein „Zeichen der Menschlichkeit“ gewesen, dass die Bundesregierung nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria entschieden habe, rund 1500 der Migranten in Deutschland Schutz zu bieten, sagt der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD). Man erwarte nun, dass bei der Verteilung die Städte berücksichtigt würden, die ihre Bereitschaft zur Aufnahme erklärt hätten.
„Wir wollen im Gespräch mit der Bundeskanzlerin nun gerne wissen, wie das rasch realisiert werden kann.“ Außerdem, so Jung, „werden wir sicher auch darüber sprechen, wie einigen Städten, die das wollen, eine zusätzliche Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Personen ermöglicht werden kann“. Es ist das Kernanliegen der aufnahmebereiten Kommunen – und das umstrittenste.
Denn für die Aufnahme und Verteilung von Migranten ist der Bund zuständig. Immer wieder hat das Bundesinnenministerium betont, dass außenpolitische Fragestellungen nicht Sache einzelner Städte und Gemeinden seien. Die Sorge ist groß, dass einige europäische Partner verprellt werden, wenn deutsche Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme in Eigenregie vorpreschen.
Hinzu kommen rechtlich klar definierte Zuständigkeiten: Der Bund ist zum Beispiel zuständig für die Sicherheitsüberprüfungen der Migranten, auch zum Teil für die Finanzierung. Das können Städte in Deutschland nicht leisten. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich die Aufnahme von Migranten nie auf die betreffende Stadt beschränkt. Es ist denkbar, dass Migranten aus den Städten in andere Kommunen weiterziehen – und damit in Regionen wandern, die sich nie für die zusätzliche Aufnahme ausgesprochen haben.
Der Potsdamer Oberbürgermeister Schubert hält den Bedenken entgegen, dass die Beschlüsse der aufnahmebereiten Städte demokratisch legitimiert seien. „Die Wünsche sind in vielen Fällen durch Ratsbeschlüsse gestützt, also demokratisch legitimiert.“
Auch der Oberbürgermeister von Rottenburg am Neckar, Stephan Neher (CDU), drängt auf ein größeres Engagement. „Schon lange spricht sich Rottenburg am Neckar aus, Geflüchtete aus Seenot und jetzt ganz aktuell auch Geflüchtete nach der verheerenden Brandkatastrophe auf Lesbos aufzunehmen“, sagt Neher. „Die Not ist größer denn je, und wir Kommunen im Bündnis Sichere Häfen sind aufnahmebereit.“
Bislang kommen die Migranten aus Griechenland in Deutschland nur schubweise an. Seit dem Frühling nimmt Deutschland Migranten aus den Lagern auf, um die griechischen Behörden zu entlasten. Einige Kinder sind bereits mit ihren Familien nach Deutschland gebracht worden; weitere sollen folgen. Dies ist das Ergebnis eines Beschlusses der schwarz-roten Koalition vom März. Dieser sieht vor, bis zu 1500 besonders schutzbedürftige minderjährige Migranten auszufliegen – in einem gemeinsamen Vorgehen mit anderen europäischen Staaten. Hinzu kommen Kinder und ihre Familien, die nach dem Brand in Moria zusätzlich in Deutschland aufgenommen werden sollen.
Laut der Bundesregierung werden bereits jetzt die besonders aufnahmewilligen Kommunen berücksichtigt. Demnach hat das Bundesinnenministerium in Abstimmung mit allen Ländern ein Konzept erstellt, das bei der Verteilung der aufzunehmenden Personen auf die Länder zum Tragen kommt. „Dieses berücksichtigt neben der Bereitschaft der Länder zur Aufnahme von Personen aus Griechenland auch eventuell bestehende familiäre Bindungen und besondere medizinische Bedarfe. Die Unterbringung und Weiterverteilung in die Kommunen liegt in der Zuständigkeit der Länder“, so die stellvertretende Regierungssprecherin Fietz.
Schubert plädiert nun dafür, diesen Mechanismus zu erweitern. „Bislang läuft es so, dass der Bund über Aufnahmekontingente entscheidet, ohne dass für die Bürger im Einzelfall transparent wird, wie es zu den Zahlen kam“, sagt Schubert. Die Flüchtlinge würden dann auf die Länder und von dort auf die Kommunen verteilt. „Aus meiner Sicht wäre eine Möglichkeit, dass aufnahmebereite Kommunen ihre zusätzlichen Kapazitäten über die Länder melden und dann direkt vom Bund zugewiesen bekommen. Diese Kapazitäten sollten in den Kontingenten berücksichtigt werden.“ Anders als manche Kommunen es wünschen, geht es Schubert nun nicht darum, im Alleingang Migranten aufzunehmen. Aber darum, den Kommunen deutlich mehr Mitbestimmung bei der Migrantenaufnahme zu geben.
Esken wirft Seehofer Blockade vor
Auch SPD-Chefin Saskia Esken erhöht vor dem Treffen den Druck. Als im September das Flüchtlingslager im griechischen Moria abbrannte, forderte sie bereits, die zusätzliche Aufnahmekapazität der Städte zu berücksichtigen. Die Koalition entschied sich am Ende aber nur, rund 1500 Menschen zusätzlich aufzunehmen – zu wenig aus Sicht der Sozialdemokraten.
„Die Zeit für Beratungen ist vorbei, es muss gehandelt werden“, sagt Esken nun WELT. Es gebe in Deutschland inzwischen 198 Städte und Kreise und zahlreiche Bundesländer, die sich im Rahmen der Seebrücke als Sichere Häfen erklärt haben und bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. „Die Problemlage ist seit Monaten bekannt: Bundesinnenminister Seehofer stellt sich diesen Bestrebungen bewusst in den Weg und blockiert so die Aufnahme von Schutzbedürftigen.“
Das bereits beschlossene Aufnahmeprogramm müsse nun „zügig umgesetzt werden, bevor der Winter in den Lagern Einzug hält“. Das Streben nach einer europäischen Lösung könne nicht bedeuten, „dass sich Deutschland bis dahin einer geregelten Aufnahme Schutzbedürftiger verweigert“.
Zurückhaltender äußert sich der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager (CDU), Landrat im schleswig-holsteinischen Kreis Ostholstein: Zwar trage man die Aufnahme der Migranten mit. Dies müsse allerdings in einem geordneten Verfahren ablaufen „und nicht auf Zuruf einzelner aufnahmebereiter Kommunen“. Man müsse darüber entscheiden, wie sich die EU so aufstellt, damit die Mitgliedstaaten in dieser Frage gemeinsam handeln. „Denn sonst wird es immer wieder so sein, dass Deutschland als ,Musterschüler‘ vorprescht, die Not punktuell lindert und Menschen aufnimmt, die allermeisten europäischen Staaten aber gerade keine Flüchtlinge aufnehmen.“
Die Gründerin der Organisation Seebrücke, die die Aufnahme der Migranten durch die Städte maßgeblich vorantreibt, ist skeptisch, was das Treffen der Kommunen mit der Kanzlerin betrifft. „Ich finde es richtig und wichtig, dass die Kanzlerin das Treffen mit den 20 Oberbürgermeistern einberufen hat“, sagt Liza Pflaum WELT. „Es kommt aber aufgrund des Drucks der Kommunen zustande. Meine Sorge ist, dass die Einladung als Beschwichtigung gedacht ist. Das Innenministerium müsste mit am Tisch sitzen, weil es über die Aufnahmen entscheidet.“ Es ist ein „großes Problem, dass sowohl Union als auch SPD versuchen, das Thema auszuklammern“, sagt Pflaum. „Immer wenn es irgendwo brennt – in Moria zum Beispiel, gibt es öffentliche Äußerungen. Ansonsten wird das Thema unter den Tisch gekehrt.“
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