Im Sommer 2018 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Pflanzen, die mit neuartigen gentechnischen Verfahren wie der Genschere Crispr/Cas9 entwickelt werden, als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft werden müssen. Wissenschaftler kritisierten das Urteil scharf, weil mit dem sogenannten Genome Editing hergestellte Nutzpflanzen oftmals nicht von natürlich gezüchteten unterscheidbar seien.
Nun soll ein neues Verfahren angeblich Abhilfe schaffen: Politiker der Grünen und gentechnikkritische Organisationen wie Greenpeace und der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik feiern die "weltweit erste Open-Source-Nachweismethode" für eine genomeditierte Pflanze. Das Verfahren müsse "unverzüglich in der Lebens- und Futtermittelkontrolle" eingesetzt werden, "um eine illegale Kontamination von Importen mit neuen Gentechnik-Pflanzen zu verhindern".
Der Biologe Detlef Weigel, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, erklärt, wo sich die Gentechnik-Gegner irren.

Detlef Weigel ist Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen sowie Professor am Salk Institute in La Jolla (Kalifornien) und an der Universität Tübingen. Er erforscht, wie Gene die Eigenschaften von Pflanzen steuern.
SPIEGEL: Was ist von dem angeblich neuen Nachweisverfahren zu halten?
Weigel: Diese Methode, Polymerase Kettenreaktion (PCR) genannt, weist eine bekannte Veränderung im Erbgut einer Rapssorte der US-Firma Cibus nach. Das hat zunächst nichts mit Gentechnik zu tun. Der Cibus-Raps, um den es hier geht, ist meinen Informationen nach noch nicht einmal gentechnisch verändert. Die Pflanze ist gegen ein bestimmtes Herbizid resistent. Diese Resistenz ist bei dieser Rapssorte jedoch durch Zufall entstanden.
SPIEGEL: Was bedeutet es dann, wenn mit diesem Test eine bestimmte Gensequenz nachgewiesen wird?
Weigel: Die Ergebnisse beweisen nichts. Veränderungen im Erbgut von Pflanzen können auf vielfältige Weise herbeigeführt werden. Bei der herkömmlichen Züchtung wird das Erbgut von Pflanzen etwa durch Bestrahlung oder Behandlung mit Chemikalien sehr unspezifisch verändert. Viel gezielter sind moderne Genome-Editing-Methoden, die einzelne Gene verändern. Und auch Zufallsmutationen spielen eine große Rolle in der Züchtung. An den Pflanzen selbst lässt sich hinterher nicht mehr erkennen, ob sie gentechnisch verändert wurden oder nicht.
Deshalb nennen wir Pflanzen, die durch Genome Editing verändert wurden, auch naturidentisch. Es ist übrigens überhaupt nichts Neues, dass man Pflanzen mithilfe der PCR analysiert. Die Methode ist schon in den Neunzigerjahren entwickelt worden und eigentlich keine Veröffentlichung wert. Heutzutage gibt es viel bessere Methoden, um Genveränderungen nachzuweisen.
SPIEGEL: Wie bewerten Sie die Kritik an den modernen Gentechnik-Pflanzensorten?
Weigel: Hier wird unterstellt, dass die Hersteller solcher Pflanzen etwas zu verbergen hätten. Das ärgert mich. Denn dafür gibt es keine Hinweise. Ich halte eine solche Kampagne für eine Irreführung des Verbrauchers. Gentechnik gibt es ja nicht nur in der Landwirtschaft. Sie spielt heute eine wesentliche Rolle in der Lebensmittelindustrie und in der Medizin. Nur sehr wenige beschweren sich, wenn ein Käse mit Lab hergestellt wird, der von gentechnisch veränderten Mikroben stammt. Ohne Gentechnik hätten wir auch viele Medikamente nicht. Dass wir jetzt so schnell bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus vorankommen, haben wir der modernen Gentechnik zu verdanken. Ich kritisiere, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
SPIEGEL: Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze lobt die neue Studie als "Erfolg für den Umweltschutz und für alle, die auf gentechnikfreie Lebensmittel Wert legen". Hat die Öffentlichkeit nicht ein Recht darauf zu erfahren, ob Lebensmittel gentechnisch verändert sind oder nicht?
Weigel: Ich verstehe, dass es viele Leute gibt, die erst mal vorsichtig reagieren. Wenn jemand mit zwei Tomaten zu mir kommt, die eine ohne ein Extragen, die andere mit einem Extragen, da würde ich vielleicht auch erst mal zu der Tomate ohne Extragen greifen. Das hat jedoch nichts mit einer informierten Meinung zu tun. Was wäre zum Beispiel, wenn die Tomate ohne Extragen zehnmal so viel gespritzt werden musste und deshalb vielleicht Pestizidrückstände enthielte? Würde ich mich dann anders entscheiden?
"Wenn eine Firma heutzutage die Kartoffel erfinden würde, würde sie niemals zugelassen werden"
Hier wird eine Technologie herausgegriffen und verteufelt, weil sie als nicht natürlich gilt. Dabei ist gerade das Natürliche häufig das Giftigste. Wer würde denn die Enkelkinder in den Wald schicken und ihnen sagen, dass sie jede Beere essen können, die dort wächst? Niemand. Die Kartoffel ist auch ein gutes Beispiel: Kartoffeln bilden Solanin, wenn sie grün werden. Davon kann man heftige Magenschmerzen bekommen. Wenn eine Firma heutzutage die Kartoffel erfinden würde, würde sie niemals zugelassen werden.

Protest gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel: "Hier wird eine Technologie herausgegriffen und verteufelt, weil sie als nicht natürlich gilt."
Foto: Jochen Eckel / imago imagesSPIEGEL: Der Europäische Gerichtshof hat 2018 entschieden, dass Pflanzen, die mit neuartigen Genome-Editing-Verfahren entwickelt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft werden müssen. War die Entscheidung berechtigt?
Weigel: 2018 war ich erst mal empört. Heute würde ich sagen, dass nicht der Richterspruch von damals das Problem war, sondern das Gentechnikgesetz selbst. Das Gesetz wurde in den Neunzigern geschrieben. Damals konnte niemand ahnen, dass es irgendwann moderne Verfahren wie das Genome Editing geben würde, die Pflanzen produzieren, die sich in nichts von herkömmlichen Züchtungen unterscheiden. Das Gesetz ist nicht mehr zeitgemäß und muss dringend überarbeitet werden, um den modernen Technologien Rechnung zu tragen.
"Von einer gentechnisch veränderten Pflanzensorte geht keine größere Gefahr aus als von einer Sorte, die durch normale Züchtung entstanden ist"
SPIEGEL: Sehen Sie überhaupt Gefahren, wenn gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut und gegessen werden?
Weigel: Mit jeder Technologie kann man Blödsinn machen. Stellen Sie sich vor, ich baue das Gen für den Giftstoff Rizin in eine Pflanze ein. Diese Pflanze sollte dann selbstverständlich niemand essen. Deshalb die Gentechnik pauschal zu verteufeln, halte ich aber für falsch. Sie verbieten ja auch keine Autos, nur weil jeden Tag mehrere Menschen in Deutschland durch Autounfälle sterben, von denen die meisten durch Umsicht vermieden werden könnten.
Von einer gentechnisch veränderten Pflanzensorte geht keine größere Gefahr aus als von einer Sorte, die durch normale Züchtung entstanden ist. Bei der normalen Züchtung werden die Gene sogar viel unvorhersehbarer neu kombiniert. Auch dort lässt sich nie ausschließen, dass im Ergebnis ein potenziell gefährlicher Inhaltsstoff überproduziert wird. Insofern ist jede Pflanzenzüchtung gefährlich. Zum Glück werden Pflanzen umfangreich getestet, bevor sie als Lebensmittel zugelassen werden.
September 11, 2020 at 12:34AM
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Diskussion über neue Gentechnik-Verfahren: "Das ist eine Irreführung des Verbrauchers" - DER SPIEGEL
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